Als mit der sogenannten „Bologna-Reform“ der Bachelor-Abschluss auch in Deutschland eingeführt wurde und die Studiengänge hierzu komplett umstrukturiert wurden, war die allgemeine Euphorie groß. In erster Linie versprach man sich eines davon: Schneller Einstieg ins Berufsleben bei maximaler Qualifikation und Praxisnähe. Letztere sollte bezeichnend für das Bachelorstudium sein. Theoretisch klingt dies vielversprechend: Nach Abschluss des Studiums stehen dem Arbeitsmarkt hochqualifizierte Mitarbeiter Anfang bis maximal Mitte 20 zur Verfügung, die auch noch genügend praktische Berufserfahrung mitbringen. In der Praxis scheint dieses Vorhaben weniger gelungen zu sein. Wie eine aktuelle Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ergab, sind 47 % aller Unternehmen mit den Bachelor-Absolventen, die sie in guter Hoffnung eingestellt haben, auch wirklich zufrieden. 53 % und damit etwas über die Hälfte aller Unternehmen gaben an, dass die Bachelors die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, nicht erfüllen konnten.
Zu wenig Praxisnähe
Als Hauptgrund für die Unzufriedenheit gaben die Unternehmen an, dass den Bachelor-Absolventen die nötige Berufspraxis fehle. Das vermag zunächst zu verwundern. Schließlich gelten besonders die Bachelor-Studiengänge als besonders praxisnah. Dies ist den Studiengängen quasi auf die Fahne geschrieben. Und nun soll es gerade hierin hapern?
Praxisnähe ist vielleicht nicht nah genug. Die Praktika und die praktischen Einheiten, die im Rahmen des Studiums zu absolvieren sind, simulieren in der Regel den Berufsalltag, ersetzen bei reiferer Überlegung jedoch nicht die eigentliche Berufspraxis. Diese kann nur über einen längeren Zeitraum erworben werden. Ein Praktikum, selbst wenn es über mehrere Monate läuft, stellt einen Ausnahmezustand dar.
Das Dilemma ist jedoch nicht nur die Praxisnähe, sondern auch die oft bejubelte Tatsache, dass die Absolventen immer jünger sind und folglich überhaupt nicht die notwendige Erfahrungen gesammelt haben können. Das Prinzip „höher, schneller, weiter“ könnte also zu Lasten fundiert erworbener Berufspraxis gehen.
Größere Unternehmen, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügen, sehen sich in der Lage, die fehlende Berufspraxis zu vermitteln und die Bachelor-Absolventen innerbetrieblich weiter auszubilden. Kleiner Unternehmen haben diese Möglichkeiten nicht und sehen sich mit Mitarbeitern konfrontiert, die zwar eine akademische Qualifikation vorweisen können, aber teilweise nicht wissen, wie sie strukturiert arbeiten, wie sie mit Kunden umgehen oder selbständig und verantwortungsvoll Projekte betreuen.
Kritik richtet sich an die Hochschulen
Zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis kam auch Queb e.V., ein Employer-Branding-Kompetenznetzwerk, nach einer Untersuchung, die es gemeinsam mit dem Centrum für Hochschulentwicklung durchgeführt hatte. Hierbei wurden mehr als 1.700 Studienangebote in Bezug auf die Praxisnähe geprüft. Leider schnitten viele hierbei mehr als schlecht ab. Im Hinblick auf Praxisphasen, Lehrveranstaltungen, deren Dozenten aus Industrie und Handel kamen, und praktische Informationsveranstaltungen bieten viele Studiengänge nicht das, was in puncto Praxisnähe zu erwarten ist. Laut Queb werde auch Methodenkompetenz nur mangelhaft vermittelt. Dies betrifft beispielsweise das Angebot an Projektseminaren, Präsentationseinheiten etc. Soziale Kompetenzen, die für den Berufsalltag im Allgemeinen unerlässlich sind werden ebenso eher weniger geschult.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags Eric Schweitzer nimmt die Hochschulen in die Verantwortung. Er beruft sich unter anderem auf 85 % der befragten Unternehmen, die angaben, dass sie der Auffassung seien, die Bachelor-Absolventen seien ungenügend für den Arbeitsmarkt gerüstet. Genau hier sollten nach Meinung Schweitzers die Hochschulen tätig werden. Neben den bereits erwähnten Möglichkeiten, Praxisnähe auch im Studium durch
- entsprechende Seminare,
- Veranstaltungen und
- Praxiseinheiten
zu erzeugen, sieht Schweitzer zudem ein Problem in der stetig steigenden Studentenzahl. Gegenüber der Zeitung „Die Welt“ sagte er: “Wir leiden an einer Überakademisierung.” Schweitzer ist der Meinung, die Zahl der Studierenden müsse wieder sinken, die relativ hohe Abbruchquote von 30 % sei ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Universitäten und Fachhochschulen ihre Zulassungsbeschränkungen optimieren müssten. Auf den Punkt gebracht steht der Vorwurf im Raum, dass viel zu viele Studenten ein Studium beginnen, für das sie offensichtlich nicht geeignet seien. Dem sei im Vorfeld – noch vor Studienbeginn – vorzubeugen.
Wie das in der Praxis aussehen könnte, ist unklar. Sollten Schulabgänger nun dazu überzeugt werden, sich vermehrt um einen Ausbildungsplatz zu bewerben, als sich für ein Studium zu entscheiden? Wie kann zudem der Kritik begegnet werden, die Abiturienten würden nicht ausreichend über das Studienangebot informiert werden?
Die Verantwortung hierfür ist definitiv auf höherer Ebene im Bildungssystem zu übernehmen. Doch was bedeutet dies für die Studenten?
Was können Bachelor-Studenten tun?
Wer selbst dafür Sorge tragen möchte, für den Arbeitsmarkt optimal gerüstet zu sein, sollte sich hinreichend auf eigene Faust informieren. Dies beginnt bereits in der Abiturphase. Über mögliche Studiengänge sollte sich jeder Interessent gründlich informieren. Auch andere Ausbildungswege, wie duale Ausbildungsplätze, sollten in Erwägung gezogen werden. Wer sich unsicher ist, ist gut beraten, erst einmal ein längeres Praktikum zu absolvieren. Die Angst, wertvolle Zeit damit zu verlieren, ist unbegründet. Auch die Möglichkeit, zunächst eine Ausbildung und anschließend ein Bachelor-Studium zu absolvieren, sollte durchaus in Betracht gezogen werden. Auch wenn die Bachelor-Absolventen dann etwas älter als andere sind, qualifizieren sie sich durch die bereits absolvierte Ausbildung und der damit gewonnenen Berufserfahrung zusätzlich für den Arbeitsmarkt.
Wer sich für ein Bachelor-Studium entschieden hat, sollte die einzelnen Angebot in Bezug auf die Praxisnähe genauestens prüfen. Die Liste der Untersuchungsergebnisse der Queb lässt sich beispielsweise im Internet kostenfrei herunterladen und kann hier als Grundlage dienen. Darüber hinaus ist jeder Student angehalten, sich auch im Rahmen seines Studiums um Praxiserfahrung zu bemühen. Dies können beispielsweise freiwillige Praxissemester oder auch eine studentische Nebentätigkeit im passenden Berufsfeld sein. Neben der im Studium gewonnenen Fachkompetenz gilt also nach wie vor: Learning by doing.
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